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Urs Casty im Gespräch: Berufsbildung und Fachkräftemangel

Geschrieben von Vanessa Lanter | 9.8.2021

Am Ende ihrer obligatorischen Schulzeit müssen Jugendliche wichtige Weichen stellen: Welchen Berufsweg sollen sie einschlagen? Wie sieht die Lehrstellensituation aus? Und welche Karriereoptionen ergeben sich beim Berufsantritt nach der Lehre? Mit yousty.ch und professional.ch haben Urs Casty und sein Team die Berufsinformation digitalisiert und helfen damit jungen Menschen, Antworten auf diese brennenden Fragen zu finden. Wir sprachen mit Urs Casty über die Wichtigkeit der dualen Ausbildung, Fachkräftemangel - und typische Startup-Probleme.

Urs, mit dem Lehrstellenportal yousty.ch und dem Portal für junge Fachkräfte professional.ch bekennst du dich stark zum dualen Bildungssystem der Schweiz. Wie bist du dazu gekommen?

Dies hängt mit meinen eigenen Erfahrungen mit der Berufswahl zusammen. Ich tat mich schwer, einen Karriereweg auszuwählen. Letztlich schlug ich eine akademische Laufbahn ein und landete dadurch beim Rohstoffhandel. Die Arbeit war zwar lukrativ, aber bald einmal fehlte mir der Sinn in meiner Betätigung. Was war also falschgelaufen auf meinem Weg? Ich realisierte, dass ich die Option «Berufslehre» damals vollkommen übersehen hatte. Daraus ging die Idee von yousty.ch hervor. Und schnell stellte ich fest, dass etablierte Institutionen der Kantone und der Privatwirtschaft die jungen Menschen nicht oder nur zu wenig erreichten. Denn diese Generation ist im Web unterwegs und verschafft sich ihre Informationen vornehmlich online. Die Vision von yousty.ch war und ist, diese jungen Menschen mit zeitgemässen Lösungen dabei zu unterstützen, das für sie passende Berufsfeld, die passende Anstellung und den geeigneten Lehrbetrieb zu finden. Ich wollte die Berufslehre in der Schweiz weiter voranbringen. Der Markt reagierte auf mein Bestreben sehr positiv und das Projekt gewann an Fahrt. Dieses positive Feedback bestärkte mich, die Jugendlichen auch nach der Lehre - bei der Wahl des passenden Jobs oder der richtigen Weiterbildung - mit professional.ch weiter zu begleiten. Heute beschäftigen yousty.ch und professional.ch rund 40 Personen und wir betreuen über 4'000 Firmenkund:innen.

Bei yousty.ch geht es um das Finden der geeigneten Lehrstelle. Was ist genau die Mission von professional.ch? 

Das eine Portal ist sozusagen die logische Konsequenz des anderen. yousty.ch ermöglicht es Jugendlichen, sich detailliert über angebotene Lehrstellen, die Unternehmen, ihre Vorgesetzten und Mitarbeitenden zu informieren. Damit machen wir es nicht nur möglich, online in einen Betrieb «hineinzusehen» sondern auch eine Schnupperlehre zu finden. professional.ch ist die Weiterführung dieser Idee: Es handelt sich um ein Stellen- und Weiterbildungsportal, das sich ausschliesslich an junge Berufsleute zwischen 18 und 35 Jahren richtet - Menschen also, die entweder gerade eine Lehre abgeschlossen haben oder schon einige Jahre an Berufserfahrung sammeln konnten und nun den nächsten Schritt in der Berufs- oder Weiterbildungswelt machen wollen. Nur professional.ch bietet der Schweizer Jugend tagesaktuell Stellen und Weiterbildungen an, welche speziell für sie gedacht sind. So bringen wir Firmen, welche Talente und Nachwuchs suchen, mit ausgelernten Fachkräften zusammen. 

Junge Mitarbeitende sind enthusiastisch, bringen die neusten Fachkenntnisse mit, sind flexibel, lernfähig und entwicklungswillig.

 

Bild: Urs Casty und das junge Team der Yousty AG

 

Warum erachtest du das Konzept der Berufslehre als Erfolgsmodell? 

Die Schweiz ist in zwei Gebieten Weltmeisterin: Einerseits haben wir hierzulande die tiefste Jugendarbeitslosigkeit und gleichzeitig sind wir Innovationsführerin. Beide Aspekte haben für mich mit unserem dualen Bildungssystem zu tun. Diverse Statistiken zeigen, wie genial dieses ist, wenn es darum geht, ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen akademischem Wissen und Praxiserfahrung. Genau diese Kombination nämlich vermittelt den Jugendlichen etwas ganz Entscheidendes: Handlungskompetenz. Der Transfer von Theorie in praktische Handlung funktioniert. Und später können Lehrabsolventen dank diverser Weiterbildungen und Fachhochschulen ihre Kenntnisse erweitern und sich neues Know-how aneignen. Dafür lohnt es sich, sich einzusetzen.

Welche Hürden stellten sich dir bei der Lancierung der Portale?

Wir hatten mit den typischen Startup-Herausforderungen zu kämpfen. Dabei geht es um Fragen wie: Finde ich Leute mit dem richtigen Spirit? Ist die Idee auch wirklich markttauglich? Und wird das Geld ausreichen? Gerade zu Beginn haben wir erst einmal viel investieren müssen, in der Hoffnung, dass sich dies letztlich irgendwann auszahlen würde. Zudem hatten wir diverse Gratwanderungen zu meistern: Da wir uns gleichzeitig an Lehrstellensuchende sowie an Unternehmen richten, die eben diese Stellen anbieten, mussten wir vollkommen unterschiedliche Bedürfnisse unter einen Hut bringen. Jugendliche und HR-Profis bewegen sich komplett unterschiedlich im Netz und haben verschiedene Usability-Erwartungen. Und natürlich mussten wir zu Beginn wie jedes andere Unternehmen auch Klinken putzen, um Geschäftspartner zu gewinnen. Es waren viele Gespräche nötig, um unsere Vision und unser Konzept zu erklären. Alle diese Dinge bereiteten uns anfangs Kopfzerbrechen, aber ich bin der Ansicht, dass unser junges Team letztlich an diesen Herausforderungen gewachsen ist. Die Mitglieder der heutigen Führungscrew fingen als Praktikant:innen an und fördern nun die Neuen, noch jüngeren. Das Durchschnittsalter ist 26 und meine Funktion ist nun mehr die eines Coachs und Mentors.

Deine Arbeit im Feld der Lehrstellen und des Berufseinstiegs gibt dir sicher Einblick in die Befindlichkeiten einzelner Branchen. Gib es solche, die sich schwer tun damit, geeignete Leute zu finden?

Die gibt es tatsächlich, und natürlich tun sich Berufsfelder, in denen Lehrstellen unbesetzt bleiben auch bei der Besetzung offener Arbeitsstellen schwer. Ds trifft zum Beispiel auf verschiedene handwerkliche Berufe zu. Das ist schade, denn die Branche hat einen goldenen Boden: Sie bietet jungen Menschen exzellente Karrierechancen, viel Verantwortung sowie eine überdurchschnittliche Einkommensentwicklung, vor allem zu Beginn. Auch die industriellen Berufe leiden, ihnen fehlt es an gutausgebildeten Fachkräften. Entsprechend warten in den berufsrelevanten Bereichen etwa 10'000 Lehrstellen darauf, besetzt zu werden. Gleichzeitig verzeichnen wir dennoch eine Jugendarbeitslosigkeit von 3.4 Prozent.

Wie passt das zusammen?

Leider entscheiden sich viele Jugendliche, die ihre «Traumstelle» nicht bekommen haben, eher für ein Zwischenjahr oder den Besuch des 10. Schuljahres. Dies ist meines Erachtens kein sinnvoller Schritt. Es wäre besser, den Übertritt in die Wirtschaft zu machen, auch wenn es anfangs vielleicht nur ein Plan B ist. Denn die Chancen sind gross: Entweder stellst du fest, dass der Beruf doch attraktiver ist als anfangs gedacht - oder du wechselst zum gegebenen Zeitpunkt. In beiden Fällen erhältst du wichtige Einblicke ins Erwerbsleben, steigerst die wichtige Sozialkompetenz und knüpfst neue Kontakte. Ich möchte an dieser Stelle aber auch festhalten, dass gewisse Unternehmen durchaus selber schuld sind, dass sie keine Angestellten finden.

Wie meinst du das?

Viele Betriebe wollen keine jungen Leute einstellen. Denn damit ist immer Aufwand verbunden, da du die Jungen in ihrer Aufgabe entwickeln und begleiten musst. Am liebsten würden diese Firmen die eierlegende Wollmilchsau engagieren; also Personen, die schon Berufserfahrung mitbringen, aber gleichzeitig zum Einsteigerlohn arbeiten. Das ist natürlich illusorisch. Unsere Empfehlung an Unternehmen lautet darum klar: holt euch die Leute «frisch ab Presse». Ja, dafür müsst ihr mehr Zeit investieren, aber wenn die richtigen jungen Leute am richtigen Ort und bei den passenden Menschen sind, lohnt sich die Investition in vielerlei Hinsicht. Junge Mitarbeitende sind enthusiastisch, bringen die neusten Fachkenntnisse mit, sind flexibel, lernfähig und entwicklungswillig. Man kann sie auf die speziellen Bedürfnisse der Firma hin entwickeln und wird deshalb auch finanziell profitieren. Die Zusammenarbeit von jungen, erfahrenen und älteren Mitarbeitenden ist für alle bereichernd.

Wie geht es für dich selber weiter? Lancierst du irgendwann ein drittes Portal?  

Ideen sind zwar da, aber zu diesem Zeitpunkt noch zu vage. Wir haben zwei Schwerpunkte. Erstens yousty.ch qualitativ immer wieder zu verbessern, um die Schüler:innen, zusammen mit Eltern, Lehrpersonen, Firmen und Berufsberater:innen noch stärker in den Prozess einzubinden. Im Rahmen des Digitalisierungstrends ist das Potenzial riesig. Zweitens den Nutzen und die Bekanntheit von professional.ch zu erweitern. Das Portal und das Team sind noch jung, aber der Start ist schon jetzt eine Erfolgsgeschichte. Wir wurden überrascht, wie viele «first mover» in Form von Personalleiter:innen und Geschäftsführer:innen schnell auf unserer Seite waren, an professional.ch glaubten und investierten. Meist Menschen, die nicht nur an unsere Kompetenz bei der Jugend glauben, sondern auch in unser soziales Engagement investieren.

 

 

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